Folgend eine kleine Geschichte über ein selbst gebasteltes Webvideo. Ich möchte zeigen, was alles falsch laufen kann, wenn Webvideos unprofessionell produziert werden. Wer direkt zu den Gründen für ein professionelles Video springen möchte, scrollt zum nächsten Titel.

Herr Print hat von einem Freund erfahren, dass zu einer modernen Kommunikationsstrategie ein Video gehört. Damit könne man den Traffic auf die Webseite ziehen und Inhalte besser vermitteln. Die durchschnittliche Verweildauer auf der Webseite werde zusätzlich erhöht. Herr Print hat sich sofort entschieden, ein Video für seine Firma zu machen, eine Firma, die mit Schnürsenkeln handelt.

Sein Neffe hat für seine Abschlussarbeit im Gymnasium gerade einen Film über ein Theaterprojekt gemacht. „Der könnte das doch machen“, denkt sich Herr Print und offeriert seinem Neffen 200 Franken für ein Video. Der Neffe nimmt das Angebot begeistert an. Herr Print hat sich noch schnell überlegt, um was es im Video gehen soll: Das Sortiment soll vorgestellt werden, damit die Kunden sehen, was er alles anbieten kann (denn die Auswahl ist wirklich einmalig im ganzen Land).

Also stellt er seine Verkäuferin vor die Kamera („Frauen wirken besser vor der Kamera“, dachte sich Herr Print) und die soll mal erklären, was sie alles haben. Leider verheddert sie sich oft in den Satzkonstruktionen, aber der Neffe sagt, das könne man alles schneiden. Es endet damit, dass die Verkäuferin 6 Minuten über das Sortiment erzählt, denn sie behandelt die Kamera wie ein Vertreter und der Neffe ist so mit dem Filmen beschäftigt, dass er nicht darauf achtet.

Der Neffe schneidet das Video nach Youtube-Manier, indem er einfach alle Versprecher und Stolperer rauschneidet. Dann knallt er einen Titel mit einem Slogan in den Abspann und aus dem Titel sprüht Feenstaub. Der Neffe fand das cool und Herr Print „versteht davon nichts“ und denkt, dass sein Neffe schon weiss, wie man das macht.

Das Resultat wird auf Youtube hochgeladen und dümpelt nun seit einem Jahr mit 45 Klicks von Verwandten und Freunden des Neffen dahin.

Herr Print hält die Webvideo-Strategie für gescheitert und lässt dies seinen Freund wissen. „Das ist wieder so ein Internet-Hirngespinst.“


 

Was lief falsch?

Es mangelte an Professionalität. Das Video trägt alle Anzeichen eines Amateurvideos. Hier sind 7 Merkmale, die den Unterschied zu einem professionellen Webvideo aufzeigen:

  1. Professionalität des Produzenten: Erfahrung, Erfahrung, Erfahrung. Hier ist eine Auflistung an Kompetenzen, mit denen sich ein seriöser Videografiker befasst hat:Tagcloud
  2. Ziel/Aussage: Oft liegen gute Geschichten verborgen wie ein Schatz, der gesucht und ausgegraben werden muss. Damit eine Geschichte wirkt, muss aber klar sein, warum man ein Video machen will. Hat man nichts zu sagen oder will man ein Webvideo um seiner selbst willen auf der Homepage haben, lässt man lieber die Finger davon. Das Risiko besteht, sich zu blamieren.
  3. Inhalt: „Content is King“ heisst der Satz, der oft wiederholt und mit Kopfnicken bestätigt wird und ironischerweise in der Praxis häufig ignoriert wird. Niemand schaut sich ein Video an, das ihm nichts bringt. Der Inhalt muss konsequent auf Ziel und Nutzen ausgerichtet werden. Ein Beispiel in der obigen Geschichte könnte sein, dass Herr Print als Geschäftsführer eine einfache Schnürtechnik zeigt, bei der die Schnürsenkel sich nicht mehr lösen. Damit kann er das Ziel haben, dass Leute über das Video auf seine Homepage kommen und das Video sogar verlinkt wird. Nebenbei exponiert sich Herr Print als „Experte“.
  4. Protagonistin: Was ist die Magie eines Films? Ich hatte einmal ein Feuerwehrmann vor der Kamera, der inmitten abgebrannter Bäume gesagt hat, das Feuermachen gefährlich ist. Naja, das haut niemanden vom Hocker. Aber wie ER es gesagt hat, das war grosses Kino. Da sprach ein Feuerwehrmann, der für dieses Feuermachen sein Leben riskiert und das spürte man. Der Beamte von der Feuerwehrbehörde hätte  nicht den gleichen Effekt. Deshalb müssen die richtigen Protagonisten gefunden werden.
  5. Filmen für den Schnitt: „Das können Sie ja schneiden“, höre ich immer wieder, wenn sich jemand im Interview verhaspelt. Nein, kann ich nicht. Nicht alles kann man schneiden. Ein wichtiger Teil der Konzentrationsleistung während des Interviews bestimmt die Frage: „Kann ich diese Aussage so verwenden? Kann ich in dieser Sprechpause schneiden?“ Dasselbe gilt für das Bild: Wenn jemand in der Realität 100m zurücklegt, ergibt das im Video ein paar Sekunden. Deshalb muss ich mir bereits vor dem Filmen überlegen, mit welchen Schnittbildern ich den Weg zeitlich verkürze oder welche Aussagen ich haben muss.
  6. Kürze: Wie lange ist die Aufmerksamkeitsspanne? 1 – 1.5 Minuten für die allermeisten Fälle. Nachher sinkt die Aufmerksamkeit rapide. Ausnahme: ein Interview mit Endo Anaconda. Oder einfach ein Video, nach dem die Nutzer aktiv suchen und sie bereit sind, einige Minuten mehr zu investieren.
  7. Effekte und Übergänge: Schnittprogramme erlauben fancy Übergänge, Animationen und Effekte. Meiner Meinung nach sind die meisten aber nur da, um einen schlechten Schnitt oder schlechtes Filmmaterial zu kaschieren. Ein Feenstaub-Einblender schreit den Zuschauer an. Das ist unhöflich. Der professionelle Videografiker ist sich über Stil, Aussage und Bedeutung von Effekten und Übergängen bewusst.

Die Aufzählung ist nicht abschliessend, aber sie zeigt exemplarisch, warum ein Webvideo Zeit und Geld braucht.

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